Apothekenwelt 2021: Die Konturen werden klarer

Masken, Plexiglasschutzwände, Händehygiene und Abstandsregeln sind alltäglich geworden. Während sich die Corona-Bedingungen mittlerweile als neue Normalität in den deutschen Apotheken herausbilden, geht die systema­tische Veränderung des ordnungspolitischen Rahmens in der Arzneimittelversorgung durch Gesundheitsminister Spahn weiter. Auch wenn noch nicht alles final fixiert ist, werden die Konturen für die Apothekenwelt ab 2021 klarer. Angesichts der Fülle verschiedener Ansatzpunkte ist es nicht einfach, den Überblick zu wahren. Was sind die zentralen »Bausteine«?

eRezept mit Makelverbot!
Ab 1. Juli 2021 kommt das bundeseinheitliche eRezept zunächst für die »normalen« Rezepte, aber auch schon für die Privatrezepte. Sonderfälle wie BtM-Rezepte und Heimversorgung oder grüne Rezepte und so weiter folgen später. Die Funktionsweise wird so sein, dass der Arzt das digitale Original in seiner Praxis-EDV erstellt, mit seinem elektronischen Heilberufsausweis signiert und über seinen Konnektor in den zentralen Gematik-Server speichert. Die Telematik-Infrastruktur lässt keine anderen Speicherorte zu – damit sind Rezeptzuweisungen durch Ärzte technisch ausgeschlossen.

Die Patienten erhalten einen »Einlösecode«, mit dem sie ihr Rezept bei einer Apotheke ihrer Wahl einlösen können: Patienten ohne Smartphone bekommen in der Arztpraxis einen Papierausdruck, der den Einlösecode und zusätzlich die Verordnung im Klartext enthält. Patienten mit Smartphone erhalten den Einlösecode durch die Gematik-App. Die Gematik-App wird derzeit programmiert. Vorgesehen sind – per Stand heute – einige fundamentale Funktionen: Der Patient soll im Klartext lesen können, was verordnet wurde. Er soll den Code löschen können, wenn er das Arzneimittel nicht möchte. Er soll aus dem Apothekenregister seine Wunschapotheke auswählen und gegebenenfalls auch »Favoriten« fix einstellen können. Er soll den Einlösecode an seine Wunschapotheke senden können. Ob der Patient mit der App auch eine »Verfügbarkeitsanfrage« zu dem verordneten Arzneimittel bei seiner Wunschapotheke stellen kann, ist noch nicht entschieden – hierzu befindet sich die Gematik mit dem DAV im Dialog.

Der Patient wird aus der Gematik-App seinen Einlösecode auch an sogenannte »Bestellplattformen« (»sonstige Dritte«) weiterleiten können – dies könnte zwar technologisch verhindert werden (so wie es beispielsweise nicht möglich ist, ÖPNV-Tickets in Berlin an Dritte weiterzuleiten), doch dazu ist das Gesundheitsministerium nicht bereit gewesen. Es hat jedoch via Patientendatenschutzgesetz (PDSG) eine rechtliche Bremse in Form eines Rezept-Makelverbotes in das Apothekengesetz eingebaut, das Bestellplattformen (aber auch Ärzten oder Krankenkassen) die ökonomische Grundlage für Rezeptsammlungen und Rezeptzuweisungen nimmt. Verstöße gegen das Apothekengesetz sind strafbewehrt. Das PDSG ist bereits vom Bundestag verabschiedet worden und geht nach der parlamentarischen Sommerpause in den Bundesrat – hier ist nach heutigem Stand eine Zustimmung zu erwarten. Krankenkassen oder sonstigen Dritten wird also die kommerzielle Rezeptmakelei untersagt.

Nach heutigem Stand muss man also davon ausgehen, dass Rezeptweiterleitungen an Bestellplattformen zwar technisch möglich sein werden. Aber ein robustes Rezeptmakelverbot macht Bestellplattformen monetär uninteressant, denn deren bisheriger business case – Geld oder Geldwertes für Rezeptzuleitungen – wird zukünftig verboten. Und eine komfortable Gematik-App, mit der man direkt bei seiner Wahlapotheke das Rezept einlösen kann, macht Bestellplattformen für die meisten Kunden wohl zu einem Umweg.

Botendienstvergütung!
n der Corona-Gesetzgebung ist erstmals eine Botendienstvergütung für Apotheken etabliert worden: je Lieferort kann die Apotheke eine Gebühr von 5 Euro erheben. Diese Regelung ist bis zum 30.9.2020 befristet. Bei andauernden Corona-Bedingungen ist die Arzneimittelversorgung von Risikopatienten durch ihre ortsnahe Apotheke im Wege des Botendienstes sinnvoll und eine Botendienstvergütung angebracht. Deshalb hat sich das BMG entschieden, eine dauerhafte Regelung zur Botendienstvergütung zu etablieren. Diese soll aber nur noch 2,50 Euro je Lieferung betragen. Die entsprechende Regelung soll im Rahmen des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG) in § 129 Absatz 5e SGB V verankert werden und wird ebenfalls nach der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden.

Vergütung bezüglich elektronischer Patientenakte und eMedPlan?
Im PDSG ist vorgesehen, dass DAV und GKV eine Vergütungsvereinbarung für die Befüllung und Nutzung der elektrischen Patientenakte beziehungsweise des darin enthaltenen elektronischen Medikationsplans schließen sollen. Da die ePA eine kassenspezifische Angelegenheit ist und die Nutzung für die GKV-Versicherten freiwillig ist, sind derzeit keine belastbaren Aussagen über Details oder Größenordnungen möglich.

Gleichpreisigkeit in der GKV-Arzneimittelversorgung?
Nach wie vor ist den EU-Versandapotheken die Gewährung von RX-Boni bei der Lieferung nach Deutschland erlaubt.

Wäre es nach den Apothekern gegangen, hätte der Bundestag den RX-Versand verbieten sollen – der EuGH hat den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht gegeben, den RX-Versand zu erlauben oder zu verbieten. Diesen Weg wollte das BMG jedoch nicht gehen. Es hat stattdessen im Entwurf zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) vorgesehen, dass in der GKV-Arzneimittelversorgung auch die Apotheken aus dem EU-Ausland sich der Arzneimittelpreisverordnung unterwerfen müssen und den GKV-Versicherten keine Zuwendungen gewähren dürfen. Die Bundesregierung hat diesen Entwurf nun dem Bundestag zugeleitet; er wird sich nach der parlamentarischen Sommerpause damit befassen.

Wenn der Entwurf die parlamentarische Zustimmung finden sollte, wäre in der eRezept-Welt ab Sommer 2021 das Boni-Thema in der GKV-Versorgung gelöst – jedoch nicht bei den Privatrezepten. Im Kontext des eRezeptes ist bei Privatpatienten mit steigenden Marktanteilen der EU-Versandapotheken zu rechnen, denn in der Gematik-App werden die EU-Auslandsapotheken wie die Inlandsapotheken als zulässige Leistungserbringer gelistet sein, können also ebenso komfortabel wie die Inlandsapotheken Rezepteinlösecodes übermittelt bekommen.

Wenn der Entwurf jedoch scheitern sollte, ist davon auszugehen, dass nicht nur bei den Privatpatienten, sondern auch bei den GKV-Versicherten in der eRezept-Welt die Marktanteile der EU-Versandapotheken steigen werden. Im OTC-Bereich beträgt der Marktanteil der Versandapotheken über 15 Prozent.

Honorierte pharmazeutische Dienstleistungen?
Im Entwurf zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz vorgesehen ist der Einstieg in honorierte pharmazeutische Dienstleistungen. Hierzu sollen – analog zum Nacht- und Notdienstfonds – je RX-Packung 20 Cent bei der Abgabe erhoben und in einen Fonds überführt werden, aus dem pharmazeutische Dienstleistungen der Apotheken vergütet werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch offen, welche Dienstleistungen das sind, welche Voraussetzungen sie haben, von wem sie veranlasst werden können und so weiter.

Ordnungspolitischer Rahmen 2021
Das eRezept, das Rezept-Makelverbot, die dauerhafte Botendienstgebühr und (noch offene) Frage der Rx-Boni sind interagierende Themenfelder, die die Apothekeninhaber/innen ganzheitlich betrachten sollten. Sie spannen einen ordnungspolitischen Rahmen auf, in dem sich Kundenverhalten, aber auch Apothekenverhalten ändern wird. Dabei geht es nicht darum, ob sich »alle« in eine bestimmte Richtung verändern, sondern es geht um eine neue Vielfalt.

Die Fragen, die Sie sich stellen sollten, sind ebenfalls vielfältig. Auch wenn die meisten Ihrer Kunden nach wie vor zur Rezepteinlösung in die Apotheke kommen und hier den Einlösecode entweder als Papierausdruck oder via Gematik-App abgeben, werden es doch nicht alle sein. Wie viele meiner Kunden werden die Einlösung »von draußen« über die gematik-App machen? Wie gehe ich mit diesen »Fernkunden« um? Wenn das x Prozent meiner bisherigen Kunden sind, bin ich dann mit meiner jetzigen betrieblichen Ablaufplanung und Personaleinteilung richtig aufgestellt? Habe ich für die »Fernkunden« eine »virtuelle Eingangstür«, gar einen virtuellen Arbeitsplatz, um telepharmazeutisch zu betreuen? Biete ich Botendienst aktiv an, zum Beispiel für Corona-Risikopatienten? Oder setze ich auf Abholfächer?

Vieles spricht dafür, dass sich die Marktanteile in der neuen Apothekenwelt innerhalb der Vor-Ort-Apotheken umverteilen. Wer zu den Gewinnern gehören möchte, muss sich rechtzeitig mit einer spezifischen Vor-Ort-Strategie aufstellen.

Wir helfen Ihnen dabei mit unseren Experten. Sprechen Sie uns dazu gerne an.

 


PDSG (vom BT verabschiedet am 3. Juli 2020)

»Rezept-Makelverbot« bei der Arzneimittelversorgung von Patienten in Deutschland

Neuregelung von § 11 Apothekengesetz
vgl. BT Drucksache 19/20708 S. 156-157

»(1) Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfts vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimittel ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Dies gilt auch für Rechtsgeschäfte oder Absprachen, die die Einlösung elek­tronischer Verordnungen zum Gegenstand haben. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Apotheken, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegen, sowie deren Inhaber oder Personal, soweit diese Apotheken Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgen.«

»(1a) Es ist für die Absatz 1 Satz 1 genannten Dritten unzulässig, Verschreibungen, auch in elektronischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.«


 

VOASG (Entwurf, im Herbst im BT)
Gleichpreisigkeit in der Arzneimittelversorgung von GKV-Versicherten – auch bei Versorgung durch Versandapotheken aus anderen EU-Mitgliedstaaten.

Neuregelung in § 129 Absatz 3 und 4SGB V
§ 129 Absatz 3 soll ergänzt werden:
»Apotheken dürfen verordnete Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen nur abgeben und können unmittelbar mit den Krankenkassen nur abrechnen, wenn der Rahmenvertrag für sie Rechtswirkung hat. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkung hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.«

§ 129 Absatz 4 soll um Vertragsstrafen ergänzt werden:

  • bis zu 50.000 Euro für jeden Verstoß (bzw. bis zu 250.000 Euro Gesamtvertragsstrafe für gleich geartete und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang begangene Verstöße)
  • Lieferausschluss bis zur Begleichung der Strafe kann vorgesehen werden
02.09.2020
Frank Diener

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Dr. Frank Diener
Diplom-Volkswirt, Generalbevollmächtigter, Treuhand Hannover GmbH Steuerberatungsgesellschaft
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