Kosten und Liquidität: Vor welchen Herausforderungen die Apotheken stehen und wie Sie jetzt erfolgreich gegensteuern

Für Apotheken ist es derzeit wichtiger als zuvor, Kostensituation und Entwicklung im Blick zu haben - wir geben Ihnen die wirksamsten Handlungsstrategien.

06. März 2024
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Interview mit Guido Michels

Die Ausgaben der Apotheken steigen, Honorare und Einnahmen aber bleiben gleich. Dieses Jahr könnten die Apothekengewinne erneut sinken – wenn man nicht aktiv gegensteuert. Guido Michels, stellvertretender Leiter unserer Betriebswirtschaftlichen Abteilung, beantwortet die Fragen von Treuhand-AKTUELL nach Ursachen und Lösungen. 

Herr Michels, für viele Apotheken sind die Themen Kosten und Liquidität derzeit sehr wichtig. Warum?
Apotheken gerieten im vergangenen Jahr von zwei Seiten unter Druck. Zum einen stagnierten die Rohgewinne, zum anderen kam die Inflation inzwischen auch in den Apotheken an. Dies manifestiert sich in sinkenden Betriebsergebnissen. 
Sinkende Gewinne bedrohen auch die Liquidität, also die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Zahlungsverpflichtungen fristgerecht zu erfüllen. Die durchschnittlichen Ausgaben für kurzfristige Finanzierungen haben sich in 2023 gegenüber 2022 um etwa 40 Prozent erhöht – ein deutliches Indiz, dass die Finanzlage auch in den Apotheken enger wird. 

Dieses Problem haben derzeit viele Branchen. Was macht die Situation in Apotheken so besonders? 
Inflation und steigende Kosten sind ein natürlicher Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Denn Unternehmen müssen Gewinne erzielen, um zu investieren und neue Produkte zu entwickeln, außerdem wollen die Angestellten mehr verdienen. Daher ist eine moderate Teuerung normal. 
Problematisch für Apotheken ist, dass sie - anders als Unternehmen anderer Branchen - nur sehr begrenzt steigende Kosten durch höhere Preise an die Kunden weitergeben können. Denn 85 bis 90 Prozent des Umsatzes werden auf Rezept erzielt und sind damit preisreguliert! Eine Abweichung vom gesetzlich festgelegten Preis ist nicht möglich. Dazu kommt, dass das packungsbezogene Fixhonorar seit der Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung 2004 in fast 20 Jahren nur einmal von 8,10 Euro auf 8,35 Euro angehoben wurde. Zwar stieg die Apothekenvergütung über alles je verordneter GKV-Packung um 21,4 Prozent gegenüber 2004, jedoch wuchsen die Inflationsrate (+36,3 Prozent) und die Apotheken-Tariflöhne (+47,9 Prozent) ungleich stärker – eine Abkoppelung der Apotheken von der wirtschaftlichen Entwicklung.Somit kann nur bei der nicht-verschreibungspflichtigen Ware preislich agiert werden. Es ist jedoch illusorisch zu glauben, den kompletten Kostenanstieg mit diesem umsatzmäßig kleinen Segment ausgleichen zu können. Zumal Apotheken bei dieser Ware auch in stärkerem Wettbewerb mit Versandapotheken, Drogerien und Co. stehen.

Der Treuhand Hannover liegen detaillierte Vergleichszahlen vor, die Entwicklungen der Branche gut wiedergeben. Wo liegen die Kosten der Apotheken heute?
Die Kosten im Verhältnis zum Umsatz lagen Ende 2023 bei 16,2 Prozent. Der überraschende Befund: Dieses Verhältnis ist seit Jahren weitgehend unverändert. 

Also ist auf Kostenseite doch nicht alles so schlimm?
Mitnichten! Auf der Umsatzseite verzeichnen die Apotheken ein deutliches Wachstum aufgrund des Struktureffektes der steigenden Packungspreise. Da sich die Umsätze durch die hochpreisigen Arzneimittel »aufblähen«, verliert der Kostenvergleich im Verhältnis zum Umsatz an Aussagekraft. Er suggeriert Sparsamkeit, wo jedoch tatsächlich deutliche Ausgabensteigerungen zu verzeichnen waren. So sind beispielsweise die Personalkosten 2023 um über sechs Prozent gewachsen – nachdem diese die Jahre zuvor auch schon stark gestiegen sind. Es gibt sogar Positionen, bei denen die Kosten sich zweistellig erhöht haben: beispielsweise EDV, Versicherungen und Energiekosten. 

Was hilft der Apotheke, um mehr Kontrolle über die Zahlen zu haben?
Ein regelmäßiger Blick auf den Internen Betriebsvergleich (IBV) und Externen Betriebsvergleich (EBV) ist wichtig, um Entwicklungen zu erkennen. Sinnvoll ist als Ergänzung zu der tradierten Darstellungsweise die Kosten-Kennzahlen auch auf Basis des Rohgewinns auszuwerten. Denn dies eliminiert weitestgehend den Struktureffekt. Mit dem IBV der Treuhand Hannover ist dies möglich.

Ausgewählte Kosten im Verhältnis zum Rohgewinn. Quelle: Externer Betriebsvergleich der Treuhand Hannover 2024. Daten per September 2023.

Sie haben für Treuhand-AKTUELL ausgewählte Kosten im Verhältnis zum Rohgewinn ausgewertet. Welche Interpreta­tionshilfe geben Sie unseren Lesern?
Eine »gesunde« Apotheke wendet etwas über 80 Prozent des Rohgewinns für Kosten auf. Für umsatzschwache Apotheken und Filialen sind Werte über 85 Prozent plausibel, hier erhöhen Fixkosten und Filialleitung den Wert. Auf der anderen Seite gibt es selbst bei erfolgreichen Apotheken nur wenig Betriebe, die Werte deutlich unter 80 Prozent erreichen. Eine gute Merkregel ist auch diese: Die Personalkosten sollten in einer Einzelapotheke um die 50 Prozent vom Rohgewinn liegen, bei Filialen unter 60 Prozent. Alle weiteren Ausgabenkategorien liegen bei unter fünf Prozent Anteil am Gesamtrohgewinn. 

Sie sprachen zu Beginn auch das Thema Liquidität an. Die Gewinnrückgänge schlagen auch auf das Bankkonto durch. 
Fehlende Rentabilität und Engpässe in der Liquidität gehen meistens miteinander einher. Dann wird der Kreditrahmen häufiger beansprucht oder überschritten, teure Überziehungsprovisionen bezahlt, es werden Rechnungen ohne Skontoabzug beglichen oder Zahlungsziele verschoben. Alles das sind Zeichen ernstzunehmender Liquiditätsprobleme. 

Nicht immer verstehen die Apotheken die Alarmsignale, die von den eigenen Zahlen ausgehen. Warum?
Es gibt zwei Konstellationen, bei denen die eigenen Zahlen täuschen können. Nummer eins: Der IBV zeigt ein durchschnittlich gutes Ergebnis an, dennoch ist die Liquidität gefährdet. Dies ist häufig kurzfristig gegeben, wenn Umsatztäler oder Kostenspitzen in einzelnen Monaten zu verzeichnen sind. Im Kasten habe ich die fünf häufigsten Ursachen für kurzfristige Liquiditätsschwankungen in der Apotheke aufgeführt. Diese Ursachen gleichen sich meist nach Tagen oder Wochen wieder aus. Ist der Engpass aber langfristig, liegen die Ursachen meist in der Finanzierungsstruktur oder den Ausgaben im Privatbereich.

Und was ist der zweite Fall?
Das sind Konstellationen, in denen Liquidität vorhanden, aber der Betrieb nicht rentabel ist. Ein positiver Kontostand verleitet eventuell manchen, vor Problemen im Betrieb die Augen zu verschließen. Dies war in Apotheken häufiger in der Nach-Corona-Zeit zu beobachten. Die Einnahmen durch Masken, Testen und Impfen auf dem Konto überdeckten bei manchen die Tatsache, dass der Betrieb ohne diese Sondereffekte nicht mehr rentabel war.

Ursachen für kurzfristige Liquiditätsschwankungen

Die fünf häufigsten Ursachen für kurzfristige Liquiditätsschwankungen in der Apotheke sind:

  1. umsatzschwache Monate, zum Beispiel der Februar oder Ferienmonate,
  2. die quartalsweisen Steuervorauszahlungen oder 
-nachzahlungen
  3. ein Warenlageraufbau, zum Beispiel durch hohe 
Bevorratungen, 
  4. die Weihnachtsgeldzahlungen im November,
  5. frühere Zahlung beim Großhandel, spätere Auszahlung der Rezeptabrechnung.

Jetzt haben wir viel über Ursachen gesprochen. Was geben Sie den Apotheken mit, um der Ergebniskrise entgegenzuwirken?
Für Apotheken ist es derzeit wichtiger als zuvor, die Kostensituation und die Entwicklung im Blick zu haben. Dabei helfen Ihnen speziell auf die Situation von Apotheken zugeschnittene Auswertungen wie der Interne Betriebsvergleich der Treuhand Hannover. Wichtig ist auch, sich die Vergleichswerte anderer Apotheken anzuschauen, die Sie durch den Externen Betriebsvergleich bekommen. Diese Transparenz hilft, Rentabilität wie auch Liquidität der Apotheke zu sichern. Außerdem werden eigene Stärken und Schwächen sichtbar und Ansatzpunkte für unternehmerisches Handeln zur Optimierung der eigenen wirtschaftlichen Situation deutlich.

Unsere Berater sprechen derzeit in Mandantengesprächen, Erfa-Gruppen und Veranstaltungen häufig mit den Kunden über konkrete Maßnahmen gegen den Gewinnverlust. Dies sind die am häufigsten diskutierten Punkte:

  • Werden Sie sich des Kundenwertes bewusst: An Rx-Arzneimitteln verdient man das Zwei- bis Dreifache im Vergleich zu Non-Rx-Ware. Bei teuren Präparaten bleibt in Euro ein zwei- bis dreistelliger Deckungsbeitrag je Packung. Sprechen Sie diese Kunden gezielt mit Service und Marketing an. Generieren Sie Mehreinnahmen durch Kommunikations- und Verkaufstrainings oder durch das Angebot pharmazeutischer Dienstleistungen.
  • Knappes Personal effizient einsetzen: Besetzen Sie konsequent nach Kundenfrequenz. Erwägen Sie Schließungen zu kundenschwachen Zeiten, zum Beispiel früh morgens, spät abends, Mittwochnachmittags oder Samstags.
  • Erfolgreicher Einkauf: Lassen Sie sich von uns beraten, ob der Großhandel korrekt abrechnet und wie das Niveau der Konditionen ist. So gehen Sie mit guten Argumenten ins Verhandlungsgespräch. Hinterfragen Sie auch, welche Ware sich bei welchen Konditionen für den Direktbezug lohnt.
  • Sinnvolle Preispolitik: Hinterfragen Sie Ihr Kalkulationsmodell und passen Sie Aufschläge nach oben an. Erhöhen Sie Preise vor allem bei Artikeln die a) nicht im Kundenfokus stehen und b) eher akut gekauft werden. Nehmen Sie Geld für Serviceleistungen. Und: Warum sollten Sie in diesen Zeiten noch hohe Kundenrabatte geben?
  • Digitalisieren Sie sinnvoll: Technik spart, wenn man die dazugehörigen Prozesse umstellt. Verändern Sie gemeinsam mit Ihrem Team die Aufgaben und Arbeitsweisen, damit Sie Telematik, Kommissionierer und Co. effizient nutzen.
  • Achten Sie auf Kostendisziplin: Hinterfragen Sie ihre Ausgaben, zum Beispiel in Sachen Werbung, Abos und monatlicher Verpflichtungen. Nutzen Sie auslaufende Verträge zur Neuverhandlung.
  • Rechnen Sie nach, welches Geschäft sich lohnt: die weit entfernte Filiale, die teure Verblisterung, das eigene Sanitätshaus oder Kosmetikstudio? Errechnen Sie konsequent den Deckungsbeitrag jeder Aktivität, also den Gewinn nach Abzug der variablen Kosten. Vergeuden Sie nicht ihre knappen (Personal-)Ressourcen in Aktivitäten, womit Sie wenig verdienen!

Und wenn der Betrieb in einer akuten Schieflage ist? Was empfehlen Sie dann?

Oberstes Ziel muss immer sein, die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Daher würde ich mit kurzfristigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Liquidität beginnen:

  • Ausgaben nach Priorität beurteilen, »Unnötiges« 
streichen.
  • Investitionen stoppen, Leasing statt Kauf.
  • Offene Forderungen einziehen.
  • Lagerbestände abbauen, Einkauf reduzieren.
  • Zahlungsziele strecken, Teilzahlungen vereinbaren.
  • Verkauf von nicht betriebsnotwendigen Gütern.
  • Steuervorauszahlungen anpassen.
  • Liquidität aus Sparguthaben, Lebensversicherungen, etc. einbringen.
  • Kurzfristige Maßnahmen mit der Hausbank einleiten, zum Beispiel Erhöhung der Kreditlinie, Tilgungsaussetzung, Umschuldung.

Danach sollte man zusammen mit seinem Berater einen langfristigen Plan zur Wiederherstellung der Rentabilität fassen und Maßnahmen auf den Ebenen Umsatz, Wareneinsatz und Kosten umsetzen. Die Durchführung ist schwierig, unangenehm und eher ein Marathon als ein Sprint. Ist man jedoch konsequent, so wird sich der Betrieb langfristig wirtschaftlich konsolidieren.

Herr Michels, vielen Dank für das Interview!