Zukunftswirkung des Tarifvertrags

Die Apothekeninhaber können sich den derzeitigen »Gehaltstreibern« nicht entziehen. Umso wichtiger, dass Handlungsoptionen wie leistungsorientierte Vergütungsmodelle, mehr Netto vom Brutto oder übertarifliche Zulagen, adäquat eingesetzt werden.

26. September 2022
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Ein Thema wird derzeit in unseren Erfahrungsaustauschgruppen heiß diskutiert: Gehälter! Zwar gab es gerade erst zum Jahreswechsel eine zweistufige, sehr deutliche Tariferhöhung, die »eigentlich« ein Befreiungsschlag hätte werden sollen. Christian Meyer aus der betriebswirtschaftlichen Abteilung der Treuhand Hannover hat in Ausgabe 1/2022 von Treuhand aktuell analysiert, wie stark welche Apothekentypen davon betroffen sind.

Im Mittel steigen die Personalkosten durch den neuen Tarifvertrag um über 10 Prozent und fast 30.000 Euro. Je nach Altersstruktur des Apothekenteams und der Teamgröße können die Kosten auch deutlich stärker steigen. Leider wird die gewünschte, spürbare Einkommenserhöhung nun durch die aktuelle Inflation aufgefressen. Viele Chefinnen und Chefs ordnen sich bei der Frage, ob sie die Gehälter, die sie in ihren Apotheken zahlen, für »gerecht« halten, auf einer Skala von 1-10 überwiegend im Mittelfeld oder etwas darunter ein: »Mehr tun« möchten einige, doch »mehr können« ist das Problem. Es bleibt ein ungutes Gefühl. Das ist für uns Grund genug, sich mit dem Thema »Gehälter« zu befassen. Was ist da eigentlich los? Und: Welche unternehmerischen Möglichkeiten haben die Apothekeninhaber/innen in Sachen Gehalt?

Vier wichtige Gehaltstreiber

Es gibt vier wesentliche Treiber für Tarif- und Effektiv­gehälter:

  • Knappheit: Auch auf dem Apotheken-Arbeitsmarkt bewirken Angebot und Nachfrage den Preis, also die tariflich vereinbarten Gehälter und die freiwillig gewährten übertariflichen Zulagen. Seit Jahren ist Personal zunehmend knapp, die Nachfrage übersteigt spürbar das Angebot. Hauptgründe dafür sind: Die Zahl der neu Approbierten ist geringer als die Zahl der ausscheidenden Approbierten der Jahrgänge der Babyboomer. Viele der neuen Approbierten streben keine Vollzeitstellen an, sondern Teilzeitstellen. Für die PTAs und PKAs gilt das entsprechend. Also: Nicht nur die Köpfe werden weniger, sondern auch die Stundenzahlen, die sie in der Offizin zu arbeiten bereit sind. Die Apotheken konkurrieren zudem mit der Industrie, der Wissenschaft und Verwaltung um Approbierte und PTAs.
     
  • Inflation: Der allgemeine Verbraucherpreisindex in Deutschland erreicht derzeit Rekordwerte, er hat die 7-Prozent-Marke übersprungen und die Volkswirte erwarten weitere Steigerungen. Daran wird auch das Energiekostensparpaket der Ampelkoalition mit seinen befristeten Effekten nichts ändern. Alle Arbeitnehmer sind davon direkt betroffen und fordern, durchaus nachvollziehbar, Ausgleich vom Arbeitgeber für ihren inflationsbedingten Mehrbedarf. Doch die Offizin-Apotheken haben keinen Einfluss auf die allgemeinen Verbraucherpreise. Und die Verkaufspreise von Arzneimitteln sind im Gros des Sortimentes – siehe Arzneimittelpreisverordnung – systembedingt starr. Das bedeutet, dass Apotheken, anders als »normale« Unternehmen, Gehaltserhöhungen nicht an Verbraucher weitergeben können, sondern aus ihrem Betriebsgewinn tragen müssen.
    Übrigens: Kennen Sie Ihre apothekenspezifische Inflationsrate und wissen Sie, welche Einzelfaktoren dabei eine Rolle spielen? Das finden Sie jeden Monat in Ihrem Treuhand-Betriebsvergleich in der Rubrik »Veränderung der Betriebskosten«.
     
  • Produktivität: Realistisch betrachtet liegt die einzige Möglichkeit für Apotheken, Gehaltssteigerungen nicht selbst aus dem Betriebsgewinn tragen zu müssen, im Produktivitätszuwachs. In der der BWL wird hierzu der sog. »Deckungsbeitrag 1« als Differenz von Umsatzerlösen und variablen Betriebskosten ermittelt und kann auf Mitarbeiter oder Packungen bezogen werden. Die Treuhand Hannover weist den Mandanten im monatlichen Internen Betriebsvergleich die entsprechenden Produktivitätskennzahlen aus. Eine gestiegene Kennzahl indiziert die gestiegene Produktivität – und umgekehrt. Die erhöhte Produktivität vergrößert – wenn die fixen Kosten stabil sind – die »verteilbare Masse« zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ein Produktivitätsanstieg kann verschiedene Ursachen haben: Zum Beispiel, wenn neue Kunden mit zusätzlichem Rohertrag gewonnen werden, oder wenn der Korbrohgewinn bei Bestandskunden wächst. Die sonst übliche Möglichkeit, Produktivitätszuwachs durch höhere Verkaufspreise durchsetzen zu können, ist bei Apotheken schon von vornherein auf den Non-RX-Bereich und damit das kleinere OTC-Teilsegment beschränkt – doch hier herrscht die massive Preiskonkurrenz des Versandhandels und der Drogeriemärkte. Die akute Herausforderung für die Apotheken ist, dass die Produktivität auch sinken kann: Wenn nämlich die Corona-bedingten Sonderumsätze sukzessive wegfallen und die Kosten auf hohem Niveau bleiben, sinkt die »verteilbare Masse« und reduziert damit den Betriebsgewinn.
     
  • Staat: Der »Staat« greift verändernd sowohl in die Personalkosten der Arbeitgeber als auch in die Nettolöhne der Arbeitnehmer ein. So ist die aktuelle Tarifneuregelung zu einem guten Teil auf die avisierte gesetzliche Mindestlohnanhebung zurückzuführen, die über notwendige Gehaltsabstände Einfluss auf die darüber liegenden Gehaltsgruppen und damit das Gehaltsgefüge insgesamt hat. Regelungen wie »krank wegen Kind« erhöhen die Personalkosten ebenso wie steigende Sozialabgaben. Dies hat Gesundheitsminister Lauterbach für die GKV schon in Aussicht gestellt. Bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung werden die Beiträge sowieso fortlaufend dynamisiert. Anders gesagt: Auch ohne Gehaltserhöhungen steigen Arbeitgeberkosten und sinken die Nettolöhne – sozusagen »von Staats wegen«.

Klar ist: Die Apothekeninhaber können sich all diesen Gehaltstreibern nicht entziehen. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist: Haben sie unternehmerische Handlungsoptionen in Sachen Gehalt?

Drei Gestaltungsoptionen in Sachen Gehalt

  • Freihändige, übertarifliche Zulagen: Der Arbeitgeber zahlt!
    Nicht alle, aber viele Inhaber/innen zahlen zusätzlich zu den Tarifgehältern übertarifliche Zulagen, um auf Knappheiten mit finanziellen Anreizen zu reagieren und damit Personal zu gewinnen und zu halten. Ob solche Zulagen gezahlt werden und – wenn ja – für wen, wird »freihändig« vom Inhaber mit dem Arbeitnehmer »im freien Spiel der Kräfte« vereinbart. Dabei wird das Ausmaß der Knappheit durch eine Fülle lokaler Faktoren positiv oder negativ beeinflusst. Übertarifliche Zulagen werden häufig als »x Prozent über Tarif«, manchmal aber auch als »Tarif plus y Euro« vereinbart – erstes versieht die Tariferhöhung mit einem Multiplikator, das zweite nicht. Verrechnungsmöglichkeiten übertariflicher Zulagen mit Tariferhöhungen sind bei entsprechender rechtlicher Gestaltung möglich, können aber zu hoher Unzufriedenheit beim Mitarbeiter führen und sollten deshalb wohl überlegt sein. Manche Inhaber/innen verfolgen bei den Zulagen eine gänzlich individuelle Strategie, andere haben für ihren Betrieb einen einheitlichen Zuschlag festgelegt. Weitere Zulagen werden häufig in Form von Öffi-Tickets, zusätzlichem Urlaubsgeld oder Dienstwagen mit privater Nutzungserlaubnis oder ähnlichem gewährt. Auffällig häufig vergessen Inhaber übrigens, diese besonderen Zulagen explizit zu ihren Tarifzuschlägen hinzuzurechnen – sie unterzeichnen damit die effektive Zulagenhöhe. Doch genau diese sollte ja Gegenstand der Gehaltsverhandlung und beiden Vertragsparteien bewusst sein. 
     
  • Mehr Netto vom Brutto: Der Staat zahlt!
    Hier werden steuer- und sozialversicherungsrechtliche Optimierungen genutzt. Meist geschieht das im Kontext einer anstehenden Gehaltsanpassung oder Sonderzahlung, indem der Arbeitnehmer einen Teil der Gehaltserhöhung in eine Sachleistung umwandelt, die bei der Lohnsteuer und/oder Sozialversicherungsbeiträgen begünstigt ist – was beispielsweise bei einem persönlichen Steuersatz von 30 Prozent und 20 Prozent Sozialversicherungsbeiträgen wirklich fühlbare Unterschiede im Netto für den Arbeitnehmer ausmachen kann. Das mögliche Spektrum ist dabei sehr groß und erlaubt oft Lösungen, die exakt zu den Bedürfnissen des Arbeitnehmers passen: Kindergartenzuschüsse, Tankgutscheine und Einkaufsgutscheine oder die (leider nun ausgelaufene) Corona­prämie sind einige, sehr bekannte Beispiele. Wichtig ist, dass bei dieser »Mehr Netto vom Brutto«-Strategie der Arbeitgeber von ihm präferierte Varianten dem Mitarbeiter anbieten, das Einverständnis aber nicht erzwingen kann.
     
  • Leistungsorientierte Vergütungsmodelle: »Vergütungsplus auf Win-win-Basis«
    Strukturierte, variable Vergütungsmodelle unterscheiden sich von den beiden vorgenannten Gestaltungsvarianten dadurch, dass sie die Erreichung betrieblicher Erfolgsziele bonifizieren, das heißt aktiv steuern und im Erfolgsfall den Arbeitnehmer am Erfolg beteiligen. Es wird also eine klassische win-win-Situation angestrebt. Dabei kann »Erfolg« quantitativ an Absatz- oder Umsatzgrößen verankert werden oder qualitativ an Projekten und besonderen Aufgaben (z. B. »Aufbau Heimversorgung«). Ebenso kann die Prämie auf vielfältigste Weise ausgestaltet werden: fix oder prozentual, mit Ober- und Untergrenzen oder je nach Erfolgsfaktor skaliert.
    Obwohl solche variablen Vergütungsmodelle in weiten Teilen der Wirtschaft mit positiven Erfahrungen genutzt werden, sind sie in den Apotheken nur selten anzutreffen. Vielleicht erklärt sich das aus dem Narrativ, dass sich in den 2000er Jahren nach der OTC-Preisfreigabe so manche Apotheke mit variablen Vergütungsexperimenten bei Zusatzverkäufen »die Finger verbrannt« hat: Wenn beispielsweise »nur« das Personal am HV bonifiziert wird, aber »die im Backoffice« nicht, führt das ebenso zu Unmut wie eine ausbleibende Erkältungswelle...

Ökonomische Ratio aller leistungsorientierten Vergütungsmodelle ist es, win-win-Situationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeizuführen: Die realistische Aussicht auf Boni soll helfen, bislang ungenutzte Produktivitätspoten­tiale zum beiderseitigen Nutzen zu heben. Nun mag sich in der Einzelapotheke darum noch der Chef oder die Chefin recht gut selbst kümmern können. Doch mit zunehmender Teamgröße und spätestens in Filialverbünden gerät die »sich-um-alles-selber-kümmern-Strategie« an ihre Grenzen. Dann sind solche leistungsorientierten Vergütungsmodelle als Führungswerkzeug geeignet. Wer als Inhaber seine Filialleiter wirklich als Führungskräfte sieht und mit Entscheidungsverantwortung ausstattet, sollte variable, leistungsorientierte Vergütungsmomente für diesen Personenkreis in seinem Besteckkasten haben und nutzen. Wer zum Beispiel in einer neu übernommenen Filiale einen Botendienst etablieren möchte, kann dies seinem Filialleiter als qualitatives Ziel übertragen und – wenn die Etablierung bis zu einem bestimmten Termin erfolgreich abgeschlossen ist – mit einem ex ante definierten Bonus versehen. Man kann das Ziel auch dahingehend ausgestalten, dass der Bonus bei vorzeitiger Zielerreichung um einen Faktor erhöht wird.

Wollen Sie mehr dazu wissen? Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gerne!

Treuhand-Plus Broschüre »Mehr Netto vom Brutto« – Begünstigte Zahlungen an Arbeitnehmer

In Zeiten hoher Lohnneben­kosten spüren Angestellte von ihren Gehaltserhöhungen nicht viel. Oft bekommt ein Arbeitnehmer von einer Gehaltserhöhung nur weniger als die Hälfte ausgezahlt. Im Rahmen von Gehaltsverhandlungen sollte daher auch immer nach Möglichkeiten gesucht werden, die dem Arbeitnehmer Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sparen. Nachfolgend finden Sie die wichtigsten steuer- und sozialversicherungsrechtlich begünstigten Zuwendungen, die Sie Ihren Mitarbeitern gewähren können. Sie als Arbeitgeber profitieren in diesen Fällen ebenfalls, denn Sie sparen den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung.

Ihr Persönlicher Berater hält für Sie ein Exemplar bereit.